
Nach Angriffen auf Drusen Zweifelhafte Schutzversprechen aus Damaskus
Die syrische Übergangsregierung verspricht den von bewaffneten Gruppen angegriffenen Drusen mehr Sicherheit. Doch an den Schutzversprechen gibt es Zweifel. Ganze Familien fliehen.
In der Wohnung von Hassan Zein al-Din sind die Koffer gepackt: Mit seinem kleinen Auto will er mit seiner Familie raus aus Syrien. "Wir wollen das Land verlassen - aus Angst", erklärt er. Die Familie könne nicht darauf vertrauen, dass sie hier noch länger leben kann. "Ich könnte von einem Scharfschützen getroffen werden oder von einer Mörsergranate. Inzwischen ist alles hier beängstigend."
Der 65-jährige Druse lebt mit seiner Familie in Jaramana, etwa zehn Kilometer von der Hauptstadt Damaskus entfernt. Er ist hier aufgewachsen, hat sein ganzes Leben hier verbracht. Nie habe er sich vorstellen können, dass er den Ort einmal verlassen müsse, sagt er.
Die vergangene Woche hat aber viel verändert: Bewaffnete Islamisten fielen in Jaramana ein, lieferten sich Gefechte mit drusischen Milizen. Von mehr als 100 Toten sprechen Beobachter. Daraufhin schickte die Übergangsregierung in Damaskus zusätzliche Sicherheitskräfte nach Jaramana, um die Lage zu beruhigen.
"Wir setzen auf die Fähigkeit der Regierung, uns zu beschützen. Das ist auch unsere Forderung", sagt al-Din. Dann kommt sein großes Aber: "Das Problem ist, dass die Regierung zu schwach ist, um die bewaffneten Unruhestifter zu kontrollieren."
Gewalt kommt für einige Beobachter nicht überraschend
Für den Juristen und politischen Aktivisten Anas al-Joudeh waren die Gefechte der vergangenen Woche keine Überraschung. Er sieht sie als Folge des uneingeschränkten Machtanspruchs der Islamisten um Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa. Angehörige von Minderheiten im Land - wie die Alawiten oder die Drusen - würden aus der Armee ausgeschlossen und politisch an den Rand gedrängt. Damit sei die Katastrophe absehbar, lautet sein Fazit. "So kann es nicht weitergehen. Wenn sie an der Macht bleiben wollen, müssen sie andere einbeziehen."
Die Übergangsregierung brauche eine Unterstützung der Mehrheit, so al-Joudeh. Aktuell repräsentiere sie nicht die Mehrheit der Syrer, auch wenn sie das andauernd betone. "Aber das stimmt nicht."
Israels Eingreifen nicht für alle willkommen
Die meisten der rund 700.000 Drusen in Syrien leben südlich von Damaskus, in der Nähe der Grenze zu Israel. Als Reaktion auf die Gefechte in Jaramana hat die israelische Luftwaffe ihre Angriffe im Nachbarland verstärkt - um der aktuellen Führung in Damaskus ihre Schwäche vorzuführen, sagen manche Beobachter. Aus Israel heißt es offiziell, um die Drusen zu schützen.
Hassan Zein al-Din sagt, er fühle sich durch das israelische Eingreifen eher bedroht als beschützt. Und auch Rawad, ein drusischer Milizionär, betont: "Wir sind verwurzelt in unserer syrischen Identität. Das müssen wir doch nicht ständig wiederholen. Wir sind Syrer, vereint unter einer Flagge. Sonst nichts."
Er kontrolliert nun an einem Checkpoint Autos, die nach Jaramana kommen - gemeinsam mit Sicherheitskräften der Übergangsregierung. Die Zusammenarbeit funktioniere und die Lage habe sich beruhigt, behauptet Rawad. Doch die Familie a-Din will sich nicht darauf verlassen, dass das so bleibt. Mit ihrem vollbepackten Wagen machen sie sich auf den Weg in den Libanon.
"Die Situation ist äußerst fragil"
Einige Drusen wie Sheikh Hikmat al-Hijri werfen der Übergangsregierung in Damaskus eine direkte Beteiligung an den Angriffen in Jaramana und anderen Orten vor. Dass sie die bewaffneten Gruppen nicht kontrollieren könne, sei eine faule Ausrede. Andere drusische Würdenträger setzen dagegen auf eine Zusammenarbeit mit der aktuellen Führung in Damaskus.
Diese uneinheitliche Haltung mache es für die Drusen noch schwerer, sagt der politische Aktivist Radwan al-Atrash: "Die drusische Gemeinschaft kann sich nicht auf eine gemeinsame nationale Stimme einigen. Unter den Scheichs gibt es unterschiedliche Visionen und Ausrichtungen." Jetzt seien die Drusen wirklich am Zug. "Sie müssen sich auf einheitliche Ziele verständigen."
Das allein werde aber nicht reichen, meint der Jurist al-Joudeh. Für eine tatsächliche Beruhigung der Lage benötige es einen Mentalitätswechsel der Führung in Damaskus. Er befürchtet, dass es zu weiteren religiös motivierten Gewalttaten im Land kommen wird. "Die Situation ist äußerst fragil. Was jetzt im Süden geschieht, ist eine Fortführung dessen, was in Homs und an der Küste passiert ist". Und es werde so weitergehen, auch in anderen Teilen des Landes, "solange diese Mentalität der politischen und sicherheitspolitischen Ausgrenzung vorherrscht".