
Saudi-Arabien Auf einmal Nachtleben - und weiter alte Strenge
Saudi-Arabiens starker Mann bin Salman weiß: Er kann die Jugend nur halten, wenn er ihr bestimmte Freiheiten bietet. Und so hat das Land auf einmal eine öffentliche Partyszene. Aber die Modernisierung hat Grenzen.
Laute Beats dröhnen durch das Industriegebiet in einem Vorort der saudischen Hauptstadt Riad. Eine abgelegene Gegend, Künstler haben hier ihre Werkstätten, kein Anwohner wird gestört von der nächtlichen Musik. Denn hier findet statt, was in Saudi-Arabien lange undenkbar war: Nachtleben und Party.
In einem der ersten Nachtklubs Saudi-Arabiens zappelt etwa ein Dutzend Feierfreudige auf der Tanzfläche. An der Bar werden Cocktails ausgeschenkt, natürlich alkoholfrei. Richtig viel los ist hier erst weit nach Mitternacht.

Nachtleben in dieser Form war früher in Riad undenkbar: Wo so feiern wollte, konnte dies nur auf heimlichen Partys tun.
Vom Untergrund auf die Dachterasse
Auf der Dachterrasse mit Blick über die Skyline von Riad bereiten sich Hassan Ghazzawi und sein Bruder Abbas auf ihren Gig vor: Beide sind saudische Elektro-DJs - bekannt als Dish Dash - und legen heute Abend auf.
Wir legen schon lange als DJs auf, vorher fand alles im Untergrund statt, in Privathäusern. Es gab eine große Untergrundszene. Und jetzt nach dem Wandel hat sich alles verändert - Touristen kommen, und wir können der Welt endlich zeigen, wie Saudi-Arabien ist und was wir haben: Wir haben jede Menge Nachtleben, Unterhaltung, Events - und trotzdem halten wir immer noch an unseren Wurzeln und unserer Kultur fest.
Genau das sei in Saudi-Arabien kein Widerspruch, betont er. "Ich liebe Musik, aber ich gehe trotzdem gerne beten. Die Musik hindert mich nicht an meinen kulturellen und religiösen Überzeugungen."

Eines bleibt aber auch in den neuen Klubs wie bisher: Alkohol darf nicht ausgeschenkt werden.
Radikale Modernisierung mit einem Ziel
Saudi-Arabien verändert sich rasant. Der Kronprinz und Defacto-Machthaber, der 39-jährige Mohammed bin Salman, krempelt das Land um, modernisiert es in Blitzgeschwindigkeit. Ulrike Freitag, Leiterin des Zentrums Moderner Orient in Berlin, sagt, bin Salmans Antrieb sei "die Herrschaftssicherung durch eine radikale Modernisierung von oben - ohne aktive Beteiligung der Gesellschaft".
Sein Ziel ist, Saudi-Arabien unabhängig vom Ölgeschäft zu machen, das Land zu modernisieren, Touristen anzulocken, aber auch um die eigene Jugend im Land zu halten.
Im Rahmen der sogenannten Vision 2030 fielen Verbote. Autofahren für Frauen, Kinos, Tanzpartys, das alles ist jetzt möglich - in einem wahhabitisch, also durch eine streng orthodoxe Strömung des sunnitischen Islams geprägten Land.
Die Besucher staunen
Freiheit für die Jugend des Landes - so empfinden viele junge Saudis die Vision 2030. Endlich unbeschwert feiern können. Auch eine deutsche Besucherin ist an diesem Abend zufällig unter den Klubgästen und sagt, sie hätte dieses Saudi-Arabien nie erwartet.
"Total überraschend" sei für sie, dass es in Saudi-Arabien so etwas gibt. Und sie lobt, dass es keinen Alkohol gibt: "In Deutschland ist das ja teilweise ein Spießroutenlauf als Frau mit Stockbesoffenen. Dass das hier nicht so ist, finde ich sehr angenehm."
Fast zwei Drittel der Bevölkerung in Saudi-Arabien sind 30 Jahre alt oder jünger. Viele haben im Ausland studiert, kennen den westlichen Lebensstil und wollen sich im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern nicht mit konservativ-religiösen Konventionen begnügen.
Mit Lebensqualität die Jugend halten
Die jungen Saudis wollen Spaß. Damit sie nicht abwandern, um top ausgebildet anderswo ihr Glück zu finden, sondern damit ihre Potential dem Land erhalten bleibt, investiert das Königreich massiv in einen neues Saudi-Arabien - eines, das für die Jugend attraktiv ist.
"Da geht es ganz klar um eine Verbesserung der Lebensqualität", sagt Orient-Expertin Freitag, "um Parks, um alles, was man in der Freizeit tun kann". Saudi-Arabien setzt auch auf Computerspiele und den Gaming-Sektor als Wirtschaftsmotor.
Das Land hat angekündigt, rund 38 Milliarden Dollar in die Gaming Industrie zu investieren. Das Land spricht von 23,5 Millionen saudischen Computerspielern, davon die Hälfte Frauen. Auch der Kronprinz soll begeisterter Gamer ein.

Das Shopping- und Freizeitviertel Boulevard City in Riad soll mit vielen Angeboten junge Menschen anziehen.
Und die Menschenrechte?
Doch das neue Saudi-Arabien dürfe nicht blenden, warnen Menschenrechtsaktivisten. Die gesellschaftliche Öffnung des Landes sei keineswegs auch gleichzeitig eine politische Öffnung.
Das Königreich werde mit harter Hand regiert und politische Gegner zum Schweigen gebracht, sagt Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International. Die "glitzernde Fassade", die Mohammad bin Salman gerne zeige, spiegele "mitnichten wider, was sich in Saudi-Arabien in Sachen Menschenrechten tut".
Das neue Saudi-Arabien befindet sich genau in diesem Spagat: Alte Strenge und absolute Herrschaft - und gleichzeitig Öffnung und Party.
Das Problem Captagon
Später am Abend nehmen einige Klubbesucher die Reporterin noch mit auf eine zweite Party, die in der Nähe stattfindet. Mit der Beschaulichkeit der ersten Tanzfläche hat das nichts mehr zu tun.
Eine riesige Fabrikhalle voller Feiernder im Technomodus, Hunderte versunken in Bewegung und Musik. Kein Bild eines Besuchers dürfe von hier nach außen dringend, sagt man uns, hier sei so ziemlich jeder "auf irgendwas".
Vor allem die Droge Captagon ist am Golf ein großes Problem. Bis vor kurzem massenhaft produziert in den Chemielaboren des ehemaligen Assad-Regimes in Syrien, wurden die Pillen tonnenweise an den Golf geschmuggelt und dienen in der Partyszene als Aufputschmittel.
Und so bittet ein Feiernder, dass sein Foto ganz schnell wieder gelöscht wird. Was hier geschehe, dürften seine Eltern niemals wissen, sagt er, und erklärt: Tagsüber sei so mancher der Technofans hier ein brav ans konservative Elternhaus angepasster junger Saudi.
