
Nördliche Nachbarn des Iran Der Krieg nebenan
Der Iran wird nördlich seiner Grenzen als Regionalmacht geachtet und gefürchtet. Der Krieg mit Israel wirkt sich auf die Nachbarn Aserbaidschan und Armenien aus, die geostrategisch eng mit dem Iran verbunden sind.
Gebirgig, rauh und trocken. So zeigt sich der Iran, wenn man von Armenien und Aserbaidschan aus über den Grenzfluss Arax nach Süden schaut. Größe und Einwohnerzahl des Iran gebieten den wesentlich kleineren Nachbarn im Norden Respekt und auch Furcht.
Ein Szenario wie der nun eingetretene Krieg zwischen Israel und Iran war lange befürchtet worden. Handels- und Flugrouten sind unterbrochen. Die ersten Flüchtlinge kommen über die Grenzen. Einwohner berichten, dass sie die Bombeneinschläge im 100 Kilometer entfernten Täbris gehört hätten. Härtere Auswirkungen werden befürchtet, sollte der Krieg andauern und die Lage im Iran vollends instabil werden.
Als Regionalmacht beeinflusst der Iran seit Jahrzehnten das fragile Verhältnis zwischen Armenien und Aserbaidschan. Aber auch umgekehrt beeinflussen die beiden Länder den Iran. Nicht umsonst telefonierte Präsident Massud Peseschkian mit dem Regierungschef Armeniens und dem Präsidenten Aserbaidschans, kaum hatte Israel die ersten Angriffe gestartet.
Aserbaidschan wiederum hatte es eilig, dem Iran eine Botschaft zu vermitteln: "Aserbaidschan wird niemals zulassen, dass sein Territorium für Angriffe auf Drittländer, einschließlich des benachbarten und befreundeten Iran, genutzt wird", versicherte Außenminister Jeyhun Bayramov seinem Amtskollegen Abbas Araghchi.
Als "bewusste Desinformation" wies Präsidentenberater Hikmet Hajiyev Social-Media-Kommentare zurück, wonach Aserbaidschaner als Agenten im Auftrag Israels im Iran tätig seien.
Öl gegen israelische Waffen
Die Beziehungen zwischen Iran und Aserbaidschan sind geprägt von Nähe und Anspannung. Über Jahrhunderte erstreckten sich Imperien über das Gebiet, das heute durch eine Staatsgrenze geteilt ist. Misstrauen nährt sich aus gegenseitigen Gebietsansprüchen und Vorwürfen der Einflussnahme. Vor allem im nördlichen Teil des Iran leben Millionen Aserbaidschaner. Sie stellen mit schätzungsweise 15 Prozent der etwa 90 Millionen Menschen im Iran die größte ethnische Minderheit. Ajatollah Ali Chamenei und Präsident Massud Peseschkian zählen dazu.
Gestärkt wurde das Misstrauen Irans durch die enge Partnerschaft, die Aserbaidschan seit Jahrzehnten mit Israel pflegt. Bereits 1997 vereinbarte Benjamin Netanjahu als Ministerpräsident mit Aserbaidschan. Der Deal: Aserbaidschan liefert vor allem Öl und erhält im Gegenzug Waffen und militärische Kooperation.
Alijew zeigte sich 2021 mit einer israelischen Drohne vom Typ Harop. Er erklärte, dass diese und weitere Drohnen "effektiv" eingesetzt worden seien im Krieg gegen den verfeinden Nachbarn Armenien ein Jahr zuvor. Transportflüge zwischen Militärflughäfen in Israel und Aserbaidschan ließen sich auch in den Jahren nach dem Krieg nachvollziehen.
Anfang Mai plante Netanjahu einen längeren Besuch bei Alijew in Baku, musste jedoch kurzfristig absagen. In der Jerusalem Post erschien im März ein Kommentar, in dem die aserbaidschanische Minderheit im Iran thematisiert wurde: Sie solle dabei unterstützt werden, sich von der imperialen Zentralherrschaft in Teheran zu befreien. Darüber hinaus setzte sich Israel beim Team von US-Präsident Donald Trump für Aserbaidschan ein. In Baku hofft man unter anderem auf US-Investitionen und Unterstützung im Konflikt gegen Armenien.
Gedicht mit Botschaft
Auch der Iran gab der aserbaidschanischen Führung deutliche Signale. Wenige Tage vor dem geplanten Besuch Netanjahus reiste Präsident Peseschkian nach Baku. Auf Aserbaidschanisch trug er ein Gedicht vor, das von kultureller Einheit und trennenden politischen Grenzen handelt. Interpretiert wurde es als Zeichen der Verbundenheit, aber auch als warnender Hinweis auf den Einfluss des Iran auf Aserbaidschan.
Im Mai ging die Führung in Teheran Schritt auf Aserbaidschan zu, um das lange Zeit angespannte Verhältnis zu verbessern. Sie ließ Mitte Mai auf Drängen der Führung in Baku einen Mann hinrichten, der 2023 die aserbaidschanische Botschaft in Teheran gestürmt und dessen Sicherheitschef getötet hatte. Damals hatte es auch einen Anschlag auf einen Abgeordneten in Baku gegeben, der als Gegner Irans aufgetreten war. Die aserbaidschanischen Behörden reagierten darauf mit zahlreichen Festnahmen und sprachen von "Sondermaßnahmen", um eine "Destabilisierung des Landes" durch Agenten im Auftrag des Iran zu verhindern.
Schließlich nahmen im Mai iranische Truppen, darunter Revolutionsgarden, an einer Militärübung teil, um die "militärische Zusammenarbeit weiter zu stärken" und das "gegenseitige Vertrauen" zu "vertiefen". Es war ein Zugeständnis an Alijew, denn diese Militärübung fand in Bergkarabach statt. Von dort waren im September 2023 mehr als 100.000 Armenier vor den heranrückenden aserbaidschanischen Streitkräften geflohen.
Iran und Armenien eng verbunden
In dem jahrzehntealten Konflikt steht Iran auf der Seite Armeniens, das ebenfalls eng mit dem südlichen Nachbarn verbunden ist. Der einzige gemeinsame Grenzübergang ist für Armenien und Iran eine wirtschaftliche Lebensader. Befürchtet wird, dass Aserbaidschans Streitkräfte im Schatten des Krieges wie 2022 ein weiteres Mal in Armenien einmarschiert und diese schmale Verbindung zwischen zum Iran besetzt.
Diese Angst beschäftigt auch viele der schätzungsweise 100.000 armenisch-stämmigen Iraner, die vor allem in Teheran leben. Wer es sich leisten konnte, kaufte sich in den vergangenen Jahren eine Wohnung in der armenischen Hauptstadt Jerewan, um in einer Lage wie der jetzigen den Iran auf dem Landweg verlassen zu können.
In den vergangenen Tagen nahm der Grenzverkehr bereits deutlich zu. Die Hotels in der armenischen Grenzstadt Meghri sind ausgebucht und die Taxifahrer verdoppelten und verdreifachten sogar die Preise für die Fahrt nach Jerewan.
Ausgreifen des Krieges nach Norden befürchtet
Die Straße von Teheran zur armenischen Grenze ist beschwerlich und führt durch gebirgiges Gelände. Schneller über eine Küstenstraße zu erreichen ist der Grenzübergang Astara nach Aserbaidschan, der rund 500 Kilometer nördlich von Teheran entfernt liegt.
Die aserbaidschanischen Behörden ließen inzwischen zahlreiche Bürger aus Drittstaaten, darunter Deutschland, passieren und zum Flughafen nach Baku transportieren.
Das ist eine Ausnahme. Aserbaidschan hält seine Landesgrenzen für den Personenverkehr seit mehr als fünf Jahren geschlossen, zunächst wegen Corona und zuletzt aus Sicherheitsgründen. Aserbaidschan wird nun noch genauer die Lage an seiner Grenze zum Iran kontrollieren, um eine Destabilisierung infolge des Krieges im Iran zu verhindern. Zu möglichen Szenarien zählen Anschläge auf Militäreinrichtungen und Politiker, auf die Botschaften der USA und Israels oder auch auf die jüdischen Gemeinden in Aserbaidschan.