Die kalifornische Nationalgarde steht vor einem Bundesgebäude in Los Angeles (Kalifornien, USA).
interview

Entsendung der Nationalgarde "Trump strebt ein autoritäres Präsidialregime an"

Stand: 11.06.2025 19:27 Uhr

Proteste in L.A. - und der US-Präsident entsendet die Nationalgarde. Dahinter erkennt der Historiker Berg den Wunsch Trumps, möglichst uneingeschränkt zu regieren. Dafür wende dieser einen "klassischen Schachzug" an.

tagesschau.de: US-Präsident Donald Trump spricht von Aufständischen in Los Angeles. Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom wiederum erkennt nach der Entsendung der Nationalgarde und der Marines einen Anschlag auf die Demokratie. Wer ist Ihrer Einschätzung nach näher an der Realität?

Manfred Berg: Ich denke, das ist Gavin Newsom, denn es handelt sich hier offensichtlich um den Versuch Trumps, eine Krise zu inszenieren, in der er seine Kompetenzen als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die Notstandsbefugnisse, die dem Präsidenten zustehen, weiter ausdehnen kann. Diese Befugnisse sind aber nirgendwo klar definiert. In der amerikanischen Verfassung finden Sie dazu nichts Konkretes - das sind die sogenannten "impliziten Befugnisse des Präsidenten". Darüber hinaus gibt es in vielen Einzelgesetzen bestimmte Notstandsbefugnisse für den Präsidenten. Das ist verfassungsrechtlich sehr vage.

Es wäre sehr naiv, darauf zu vertrauen, dass es Trump hier um die öffentliche Sicherheit geht. Der Gouverneur von Kalifornien und die Bürgermeisterin von Los Angeles sagen ja, sie hätten die Lage im Griff. Ein Aufstand gegen die Vereinigten Staaten ist hier ganz sicher nicht zu sehen. Und mit einem Aufstand kennt Trump sich im Übrigen aus, wenn Sie an den 6. Januar 2021 zurückdenken ...

Unterschiede zu Fällen der Vergangenheit

tagesschau.de: … den Sturm auf das Kapitol, den er damals angestachelt und dann am TV verfolgt hat, um gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit verurteilte Teilnehmer zu begnadigen. Nun ist Trump nicht der erste Präsident, unter dem die Nationalgarde eingesetzt wird. Was unterscheidet denn diesen Einsatz von früheren?

Berg: Es gab in der Vergangenheit zum einen die Fälle, in denen einzelne Bundesstaaten selbst darum gebeten haben. Das war während der sogenannten "Race Riots", "Rassenunruhen", in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre verschiedentlich der Fall, und auch 1992 bei den "Race Riots" in Los Angeles. Und dann gab es während der Bürgerrechtsbewegung die Fälle, bei denen der Präsident die Nationalgarde ausdrücklich gegen den erklärten Willen der Bundesstaaten entsandt hat, weil diese sich weigerten, Bürgerrechtler zu schützen, geltendes Recht durchzusetzen und Gewalt zu unterbinden.

Hier sehe ich einen entscheidenden Unterschied: Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Staat Kalifornien beziehungsweise die Stadt Los Angeles Recht und Gesetz missachten.

Manfred Berg
Zur Person
Manfred Berg ist Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Sein 2024 erschienenes Buch "Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von 1950 bis heute" behandelt die Polarisierung der US-Politik und Gesellschaft.

"Gefahr, dass das demokratische System ausgehebelt werden soll"

tagesschau.de: Wenn Trump versucht, seine Befugnisse auszuweiten, was ist sein langfristiges Ziel?

Berg: Trump strebt ein autoritäres Präsidialregime an. Er hat schon während seiner ersten Amtszeit, aber auch vor den Wahlen 2024 nie einen Hehl daraus gemacht, dass er am liebsten wie ein gewählter Diktator regieren möchte. Und das versucht er.

Der Einsatz von Militär oder in diesem Fall der Nationalgarde in einer inneren Krise ist ein klassischer Schachzug in einem solchen Drehbuch. Trump hat diese Krise ganz bewusst durch drastische Maßnahmen herbeigeführt. Denn es war damit zu rechnen, dass es Proteste gegen die Razzien gegen Migranten geben würde. Das liefert ihm jetzt die Begründung für sein Handeln.

Im amerikanischen föderalen System sind die Bundesstaaten sehr stark und haben die Kompetenz, ihre innere Sicherheit selbst zu gewährleisten. Nur wenn sie das nicht mehr können oder wollen, hat die Bundesregierung gewisse Kompetenzen. Ob diese Situation in Los Angeles tatsächlich besteht, daran sind begründete Zweifel erlaubt. Der Gouverneur von Kalifornien jedenfalls bestreitet das energisch, und er sieht aus meiner Sicht zu Recht die Gefahr, dass damit das demokratische und föderale System der USA ausgehebelt werden soll.

tagesschau.de: Andererseits hat jetzt Texas Gouverneur Gregg Abbott angekündigt, die Nationalgarde zu Hilfe zu rufen.

Berg: Daran zeigt sich, wie gespalten die USA sind und wie weit die Loyalität der Republikanischen Partei zu Trump geht. Ich würde darauf wetten, dass ein republikanischer Gouverneur von Texas - abgesehen vielleicht von Naturkatastrophen - niemals so handeln würde, wenn der Präsident weiterhin Joe Biden hieße.

Mehrheit konservativer Richter

tagesschau.de: Wir wissen von der Präsidentschaftswahl, dass es eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in den Vereinigten Staaten gibt, die sich einen härteren Kurs in der Migrationspolitik wünschen. Kann es sein, dass Trump sich auch hier auf ihren Rückhalt stützen kann?

Berg: Bei seinen Anhängern ganz bestimmt. Beim harten Kern ist er populär und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Aber unabhängig davon, ob eine bestimmte Politik populär oder zweckmäßig ist, gilt doch: Der amerikanische Präsident ist, bei aller auch problematischen Machtfülle, kein Diktator. Er ist an Recht und Verfassung gebunden. Das aber hat Trump wiederholt infrage gestellt.

Die präsidentiellen Dekrete, mit denen er vor allem regiert, müssen mit der Verfassung und Bundesgesetzen vereinbar sein. Darüber entscheiden letztendlich die Gerichte und in letzter Instanz der Supreme Court. Dort aber gibt es eine klare 6:3-Mehrheit konservativer Richter, die ihm bislang noch nicht entscheidend entgegengetreten ist. Und auf diese freundliche Mehrheit rechnet er wahrscheinlich.

"Der Kongress sagt und tut nichts"

tagesschau.de: Haben denn die Demokraten auf diesen Konflikt eine Antwort, die von einer großen Zahl von Wählern mitgetragen werden kann?

Berg: Die Wahl 2024 hat gezeigt, dass die USA in zwei ungefähr gleich große Lager gespalten sind. Der Abstand war nicht besonders groß - 2,3 Millionen Stimmen, 1,5 Prozentpunkte. Insofern käme es für die Demokraten darauf an, wenigstens einen Teil der Wähler zurückzugewinnen. Natürlich kann ein solcher Konflikt dazu beitragen, dass sich Wähler von Trump abwenden, jedenfalls diejenigen, die ihm nicht ideologisch und persönlich treu verbunden sind.

Für Newsom ergibt sich jetzt eine gewisse Chance, sich als Führungsfigur im Kampf gegen Trump zu profilieren. Aber es besteht auch die große Gefahr, dass eine etwaige Gewalteskalation den Demokraten angelastet werden kann. Trump wird ihnen dann sicher vorwerfen, sie hätten diese Krawalle angestiftet. Die USA befinden sich in einer sehr schwierigen Situation. Und es fällt auf: Der Kongress sagt und tut nichts.

tagesschau.de: Wie erklären Sie sich das?

Berg: Auch das zeigt, wie stark die Macht in den USA in Richtung Weißes Haus gewandert ist. Diese Tendenz, die wir seit Jahrzehnten beobachten, ist für jemanden wie Trump maßgeschneidert.

Der Kongress ist oft blockiert. Insofern ist es durchaus nachvollziehbar, dass viele Amerikaner sagen: Wir brauchen einen starken nationalen Führer, der endlich diesen Knoten durchschlägt und die Regeln bricht, damit diese Blockade irgendwann mal aufgelöst wird. Das ist sicher ein Grund, warum viele Leute Trump gewählt haben.

Trump tut vieles, wovor Konservative gewarnt haben

tagesschau.de: Die Republikaner werfen Newsom vor, er habe mit seiner jüngsten Rede und seinem Agieren in diesem Konflikt seine Kampagne zur Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten 2028 gestartet. Ist das abwegig?

Berg: Nein. Es mag sein, dass Newsom eine politische Fensterrede gehalten hat, um sich als möglicher Führer der Demokratischen Partei in Stellung zu bringen. Aber Newsom hat nicht darum gebeten, dass Trump Truppen schickt, damit er ihm Widerstand leisten und sich profilieren kann. Ich bin mir sicher, dass jeder demokratische Gouverneur an seiner Stelle genauso gehandelt hätte.

Was hier geschieht, ist ein massiver Eingriff in die Kompetenzen der Bundesstaaten. Mich wundert eines: Gerade die amerikanischen Konservativen haben über Jahrzehnte hinweg immer vor einer tyrannischen Bundesregierung gewarnt und sind für die Rechte der Bundesstaaten eingetreten. Wo sind sie eigentlich jetzt?

Trump ist zwar kein klassischer Konservativer. Aber er ist unter dem Banner des Konservatismus und mit den Stimmen der amerikanischen Konservativen ins Weiße Haus gekommen und tut jetzt vieles, wovor die Konservativen über Jahrzehnte hinweg immer gewarnt haben.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de.