
Wasserkrise in Afghanistan Kabul droht auszutrocknen
Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich die humanitäre Lage in Afghanistan immer weiter verschärft. In Kabul fehlt es nun zunehmend an sauberem Trinkwasser - mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung.
Bibi Jan beugt sich über ein blaues Plastikfass in ihrem Hof. Routiniert schöpft die Hausfrau Wasser in einen Kanister, trägt ihn ein paar Schritte weiter und kippt es in ein Becken. Dann kniet sie sich hin und beginnt Wäsche zu waschen - wie jeden Tag.
In vielen Stadtteilen Kabuls kommt kein Wasser mehr aus der Leitung. Wer trinken, kochen oder waschen will, muss sich selbst behelfen - so wie die 45-Jährige. Sie erzählt Reportern der Nachrichtenagentur AFP, dass sie den Wasserverbrauch ihrer Familie genau überwachen muss:
Frauen brauchen das Wasser am dringendsten. Wir geben jede Woche umgerechnet etwa zwei Euro dafür aus - Geld, das wir eigentlich für andere Dinge benötigen. Wenn meine Tochter oder ich unsere Tage haben, können wir keine speziellen Hygiene-Artikel kaufen. Wir nehmen, was wir zu Hause haben - das bedeutet, wir müssen täglich waschen. All diese Probleme hängen mit dem Wasser zusammen."
Bibi Jan ist kein Einzelfall: Laut dem UN-Kinderhilfswerk könnte das Grundwasser in Kabul bis 2030 vollständig erschöpft sein - wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Schon jetzt sind fast die Hälfte der Brunnen in der Stadt ausgetrocknet.
Kabul wächst zu schnell
Eine der Hauptursachen ist das rasante Wachstum Kabuls. Zählte die afghanische Hauptstadt 2001 noch rund eine Million Einwohner, sind es heute etwa sechs Millionen. Viele von ihnen sind nicht freiwillig gekommen, sondern wurden durch Krieg, Armut oder politische Entscheidungen zur Flucht gezwungen - zuletzt in großer Zahl aus dem Nachbarland Pakistan.
Doch die Infrastruktur konnte mit diesem Wachstum nicht Schritt halten: Investitionen in die Wasserversorgung blieben aus, erklärt Elke Gottschalk von der Welthungerhilfe. Die Organisation ist seit Jahrzehnten im Land aktiv.
"Das heißt, alle sind davon abhängig, eigene Brunnen zu bohren und damit wird das Grundwasser stark übernutzt. Gleichzeitig gibt es auch keine Abwasserentsorgung", sagt sie. Viele Haushalte leiteten ihr Abwasser einfach direkt in den Boden, in die Gräben, in die Flüsse, das verschmutze dann das Grundwasser. "Und je tiefer wir bohren müssen, desto höher ist das Risiko auch, dass jetzt schädliche Metalle oder Salze hochgepumpt werden."
Wie ernst die Lage inzwischen ist, zeigt sich auch am Büro der Welthungerhilfe in Kabul selbst. Dort musste der Brunnen innerhalb weniger Jahre mehrfach vertieft werden, um noch genügend Wasser zu finden.

Menschen holen Wasser aus einem Tankwagen: Dort ist die Qualität noch relativ gut.
Familien fehlt das Geld
"Als wir da eingezogen sind, war der Brunnen 80 Meter tief. Und das war ausreichend, um uns mit Wasser zu versorgen", schildert Elke Gottschalk. "Dann mussten wir den vor zwei Jahren auf 150 Meter vertiefen, um noch genügend Wasser zu bekommen. Und heute schon müssen die Brunnen bis zu 300 Meter gebohrt werden, um noch Wasser zu finden."
Die meisten Familien in Kabul haben jedoch nicht die Mittel für einen Brunnen. Sie müssen ihr Wasser selbst heranschaffen - von Tankwagen. So wie Pir Mohamad Mohamadi, ein Ladenbesitzer. "Das Wasser der Tankwagen ist besser. Leitungswasser gibt es fast nirgends - und wenn doch, ist es salzig und unbrauchbar", sagt er." Es eignet sich höchstens zum Waschen, nicht zum Trinken. Das Wasser aus den Tankwagen ist vergleichsweise gut."
Klimakrise verschärft die Lage
Und die Lage droht sich weiter zu verschlechtern: Afghanistan gehört weltweit zu den Ländern, die besonders stark von der Klimakrise betroffen sind. Ohne dringend nötige Investitionen läuft Kabul Gefahr, buchstäblich auszutrocknen.
Es ist ein sehr ernstes Problem, sagt auch Shafiullah Zahidi vom staatlichen Wasserversorger: "Unsere Versorgung deckt nur etwa 20 Prozent der Stadt ab. Auch die restlichen 80 Prozent der Menschen brauchen Wasser. Eigentlich sollten alle rund um die Uhr Zugang zu Wasser haben."
Durch die Taliban ist das Land isoliert
Zuständig für die Wasserqualität ist die afghanische Umweltbehörde. Doch auch dort fehlt es an allem, sagt Expertin Gottschalk. "Es fehlt Technik und Geld, aber auch Experten. Es gibt zu wenig Messstationen, kaum aktuelle Daten." Eine Lösung wären große Infrastruktur-Investitionen, womit Staudämme gebaut werden, sagt sie - damit man Wasser zurückhalten kann und eine nachhaltigere Versorgung errichten kann. "Aber dafür will im Moment einfach niemand Afghanistan unterstützen."
Seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 ist das Land weitgehend isoliert. Viele internationale Geber haben ihre Hilfe reduziert. Infrastrukturprojekte liegen auf Eis. Besonders dramatisch ist die Situation, seit die US-Regierung fast alle Hilfsprogramme für Afghanistan gestoppt hat. Bis dahin stellten die USA rund die Hälfte der internationalen humanitären Hilfe bereit.
Wasser als Luxusgut
Die Folgen sind verheerend: In einem Land, in dem 85 Prozent der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, ist Wasser längst zum Luxusgut geworden. Hilfsorganisationen berichten, dass Haushalte bis zu 30 Prozent ihres Einkommens für Wasser ausgeben - manche machen dafür sogar Schulden.
Die Hausfrau Bibi Jan berichtet, wie sie aus purer Not das kostbare Wasser mehrfach verwendet - zum Baden, für den Abwasch und die Wäsche. "Mein Mann ist Tagelöhner, er verdient etwa 100 oder 150 Afghani am Tag. Wenn wir Wasser brauchen, kauft er an diesem Tag nichts anderes. Normalerweise bringt er Dinge mit nach Hause, wenn er gearbeitet hat. Aber wenn wir kein Wasser haben, bringt er zwei Tage lang nichts vom Markt mit - er bringt nur das Geld nach Hause, damit wir Wasser kaufen können."
150 Afghani sind umgerechnet etwa 1,80 Euro. Wenn die Kinder ein paar Tage nur Tee bekommen, erzählt die 45-Jährige, sagen sie: 'Du hast Wasser gekauft und nichts für uns.' Bis sich in Afghanistans Hauptstadt Kabul etwas ändert, bleiben Familien wie die von Bibi Jan gezwungen, täglich neu zu entscheiden: Lebensmittel - oder Wasser?